Regeneration als Leitmotiv zukunftsfähiger Unternehmen
Die Wirtschaft braucht einen Paradigmenwechsel: Regenerative Nachhaltigkeit hilft ökologischen und sozialen Systemen zu gedeihen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Beziehung von Unternehmen zu ihrer Mitwelt.
Der planetare Notstand ist jetzt. Klimawandel, sechstes Massenaussterben und wachsende Ungleichheit – das sind nur drei der zahlreichen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht. Es muss sich etwas ändern – das ist klar. Die Wissenschaft betont immer wieder den instabilen, riskanten Zustand, in dem sich der Planet befindet. Dass sechs von neun planetaren Grenzen bereits heute überschritten sind, zeigt die neuste Studie eines internationalen Forschungsteams rund um Katherine Richardson. Auch der Earth Overshoot Day veranschaulicht das: Wenn die globale Gesellschaft so leben würde, wie es die deutsche Bevölkerung tut, bräuchte sie drei Erden. Im Durchschnitt liegt der aktuelle Ressourcenverbrauch beim 1,75-fachen dessen, was die Erde zur Verfügung stellt und entsprechend regenerieren kann. Wie kann dieser Trend umgekehrt werden? Wie können lebendige Ökosysteme geschützt und erhalten werden? Und welche Rolle spielen Unternehmen dabei?
Die Rolle der Wirtschaft
Die aktuelle Ausgestaltung der Wirtschaft trägt zum Verfall der Ökosysteme bei. Energiequellen wie Kohle, Gas und Öl und viele weitere Ressourcen, die mithilfe dieser Energie transformiert werden, spielen eine fundamentale Rolle dabei, dass der gesamtgesellschaftliche materielle und immaterielle Wohlstand so hoch ist wie nie zuvor. Durch die Art und Weise, wie die Menschheit heute wirtschaftet, werden die Bedingungen für jegliches Leben und damit die Struktur und Beschaffenheit (regionaler) Biodiversität verändert. Die Auswirkungen dieses Handelns sind, wie eingangs erwähnt, problematisch, wenn nicht sogar fatal, und heute schon sichtbar und spürbar.
Laut der Deloitte „CxO Sustainability Survey 2023" erkennen Führungskräfte zwar, dass der Klimawandel neben Wirtschaftsaussichten, Innovation und Lieferkettenproblemen zu den größten Herausforderungen und damit Prioritäten zählt. Doch die Versprechen und die tatsächlichen Veränderungen klaffen auseinander. Die Einbettung von Nachhaltigkeit in Strategie, operativen Betrieb und Unternehmenskultur hinkt hinterher. Zu den beliebtesten Nachhaltigkeitsmaßnahmen zählen laut der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte die Nutzung nachhaltigerer Materialien, die Verringerung von Flugreisen und die Steigerung der Energieeffizienz. Das Motto ist: Dinge weniger schlecht tun. Bestenfalls streben Unternehmen danach, die negativen Auswirkungen ihrer Wertschöpfung auszugleichen und anderswo zu kompensieren – doch im Angesicht des planetaren Notstands reicht dies mittlerweile nicht mehr aus.
Ein Paradigmenwechsel ist nötig: regenerative Nachhaltigkeit
Konventionelle Nachhaltigkeit untergräbt Bemühungen in die notwendige, lebenserhaltende Richtung, indem sie die Illusion erweckt, dass ein positiver Wandel stattgefunden habe, obwohl in Wirklichkeit keine Veränderungen eingetreten sind oder die Veränderungen durch beispielsweise Reboundeffekte sogar schädlich waren. In Wissenschaft und Praxis steht daher ein Paradigmenwechsel an: regenerative Nachhaltigkeit. Dieser Ansatz entwickelte sich aus der Landwirtschaft, Architektur und Stadtplanung mit dem Ziel, über eine bloße Erhaltung des Status quo hinauszugehen und Bedingungen zu schaffen, in denen ökologische und menschliche Systeme gedeihen können. Zudem soll die Resilienz sozio-ökologischer Systeme gegenüber externen Einflussfaktoren gestärkt werden.
Ein gutes Leben auf diesem Planeten hängt daher wesentlich von der Wiederinstandsetzung der Regenerationsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit sowohl natürlicher, als auch sozialer Systeme ab. Gleichzeitig muss Natur überall dort erhalten werden, wo die biologische Vielfalt noch intakt ist. Von den meisten Unternehmen erfordert das eine grundlegende Transformation.
Wie sieht eine regenerative Wirtschaft aus?
Eine Übertragung des Konzepts der regenerativen Nachhaltigkeit auf die Ökonomie und die Umsetzung einer regenerativen Wirtschaft stehen noch am Anfang. Aktuell gibt es keine allgemein akzeptierte Definition und wenige Ansatzpunkte, welche Charakteristika regenerative Unternehmen ausmachen. Klar ist jedoch, dass das Wirtschaftssystem so umgestaltet werden muss, dass die Wirtschaft als Ganzes mehr zurückgibt als sie nimmt. Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle dem Leitmotiv der Regeneration folgend (um)gestalten, haben das Ziel, für das gesamte sozial-ökologische System einen netto-positiven Mehrwert zu erzielen. Sie erkennen bestehende ökologische bzw. gesellschaftliche Probleme und lösen diese unternehmerisch. Für bestehende Unternehmen bedeutet dies in der Regel eine umfassende Transformation bestehender Logiken. Methoden wie True Cost Accounting und Natural Capital Accounting sind Beispiele dafür, wie unternehmerischer Erfolg mit neuen Kennzahlen gemessen werden kann. Insgesamt beziehen regenerative Unternehmen eine viel größere Anzahl an Stakeholdern ein, wie Mitarbeitende, liefernde Unternehmen, lokale Gemeinschaften und natürliche Systeme an allen relevanten Wirkungsorten, die entlang der Wertschöpfungskette beeinflusst werden.
Das Verhältnis zur Mitwelt muss sich ändern
Das Verhältnis zur Natur, die Förderung der organisatorischen Freiheit und die Sicherstellung einer innovativen Perspektive sind Treiber der regenerativen Transformation. Fundamental für eine regenerative Entwicklung der Wirtschaft ist, dass veraltete und destruktive Denkweisen hinterfragt und abgelegt werden. Dazu zählen insbesondere bewusste und unbewusste Grundannahmen. Regenerative Unternehmen rücken davon ab, sich als über der Natur stehend zu sehen – sie verstehen sich stattdessen als partizipative Partner:innen und als Natur selbst. Die grundlegende Annahme, dass alles miteinander verbunden und voneinander abhängig ist, verdeutlicht das im Besonderen. Das Unternehmen trägt somit die Verantwortung für die langfristige Gesundheit des Gesamtsystems und erreicht dies mithilfe fürsorglicher, kollaborativer Partnerschaften. Regenerative Unternehmen sind sich der Komplexität und der Wechselwirkung zwischen den Systemen bewusst: Kleine Veränderungen in einem Teil des Systems können erhebliche Auswirkungen auf andere Teile des Systems haben. Sie erkennen an, dass die Ressourcen der Erde und der Gesellschaft begrenzt sind, und berücksichtigen entsprechend Zeiten und Zyklen der Regeneration. Entscheidungen auf der Einzelunternehmensebene werden entsprechend im Hinblick auf das Wohlergehen des Gesamtsystems getroffen.
Prof. Dr. Stephan Hankammer ist Professor für Nachhaltige Unternehmensführung, Innovation und Entrepreneurship und Prodekan des Fachbereichs Wirtschaft der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Er leitet dort den Studiengang B.A. Nachhaltiges Wirtschaften und ist Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer des REGWI Instituts für Regeneratives Wirtschaften.
Lena M. Kaufmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Wirtschaft an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Als Ökonomin und Strategieberaterin beschäftigt sie sich mit der regenerativen Transformation und erforscht dabei unter anderem die Grundannahmen von Unternehmen.
Quelle: B.A.U.M. Insights 4/2023